Willkommen 
Arno Lohmann, Pfarrer i.R. 


Hartmut Rosa, einer der bedeutenden deutschen Soziologen warnt vor einer Gesellschaft, die mehr und mehr Krieg als Normalität akzeptiert. In einem Interview mit Raphael Schmeller in der Berliner Zeitung vom 12. Juli 2025 fordert er ein Ende westlicher Doppelmoral:
„Kriegstüchtigkeit heißt: Besser darin werden, Menschen umzubringen“

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Muss Deutschland friedensethische Positionen überdenken?
Wir meinen: Ja!
Welche Aufgabe hat dabei die Kirche?
Hier ist unser Beitrag:

Brakelmann und Arno Lohmann

Kirche muss in dieser Welt Kirche Jesu Christi sein.
Krieg und Frieden und die Aufgabe der Kirche

Die Kirche, soweit sie sich gebunden weiß an die Geltung der Zehn Gebote Gottes und an die Botschaft Jesu Christi, kann personal- und sozialethische Entscheidungen nur in dieser Gebundenheit an den Willen des menschenfreundlichen Gottes und an den Geist des Bergpredigers treffen. Das öffentliche Reden der Kirche muss diese Bindungen erkennen lassen. Sie kann sich nicht zur religiösen Interpretin politischer, ökonomischer und sozialer Machtverhältnisse machen lassen.
In bewaffneten Konflikten  hat Kirche klar und deutlich ein Nein zum Krieg mit seinem Töten von Soldaten und Zivilisten, mit seinem Morden von Nichtkombattanten und mit seinem Zerstören von Wohngebieten zu sprechen. Krieg ist nicht aus göttlicher Legitimation entstanden und kann vor der Botschaft Jesu Christi nicht gerechtfertigt werden. Das gilt auch für den Krieg in der Ukraine. Dieser Krieg hat  eine Vorgeschichte, an der der Westen mit der NATO beteiligt ist. Ausgebrochen ist er durch den Willen eines autokratischen Präsidenten und wird geführt nach den militärischen Eigengesetzlichkeiten, die auf die Vernichtung des Feindes gerichtet sind. Sowohl der, der den Krieg ausgelöst hat wie der, der ihn als Verteidigungskrieg führt - sie haben alle in der Kriegsführung kein schlechtes Gewissen, sondern greifen mit bestem politischem Gewissen an und verteidigen sich mit ebenso bestem politischem Gewissen. Das reale Ergebnis sind militärische und vor allem zivile Todesopfer. Das gilt ebenso für das Zerstören von Lebensräumen. Für diese Kriegsführung kann es keine Zustimmung aus christlichem Gewissen geben. Hier werden göttlicher Weltwille und die Friedensbotschaft Jesu Christi hemmungslos zerstört. Für die Kirche kann es in ihrer aktuellen Botschaft keine Rechtfertigungsmomente für die Verantwortungslosigkeit der Kriegführenden geben. Auch der, der meint einen Verteidigungskrieg zu führen, verstößt mit seinem kriegerischen Handeln gegen die Gebote Gottes und gegen die Friedensbotschaft Jesu.
Die Kirche muss in dieser Situation ohne Wenn und Aber zur Änderung des politisch-militärischen Handelns aufrufen, und dazu, sich zum Waffenstillstand als Voraussetzung für Friedensverhandlungen bereit zu finden. Sie kann sich nicht der üblichen Logik der machtpolitischen Argumente beugen. Sie hat zu schreien über die Kriegsverbrechen und hat sich von ihrer Botschaft her gegen das Verbrechen des Krieges überhaupt zu wenden.
Was zu bedenken ist: die Kirche hat real nicht die Möglichkeit, die Massaker des Krieges zu beenden. Sie ist kein Machtfaktor im laufenden Krieg. Aber sie hat die Möglichkeit, über das Gott- und Menschenwidrige des Krieges zu klagen und die anzuklagen, die den Krieg führen und sie zum Ende des Massenmordens und des Elends der Flüchtlinge aufzurufen - und das ohne Rücksicht auf macht- und militärpolitische Argumente. Einer möglichen Eskalation des jetzigen Krieges zum Weltkrieg hat sie sich konsequent entgegenzustellen.  Kontroversen mit den politischen Verantwortlichen kann sie dabei nicht aus dem Wege gehen.
Natürlich weiß die Kirche, dass die gegenwärtige wie die kommenden Welten nie frei sein werden von harten Kontroversen. Sie weiß um die Mächtigkeit der Gegengeister gegen Gottes menschenfreundliche Gebote wie gegen die Friedensbotschaft Jesu Christi. Wofür sie sich aber einsetzen kann, ist, dass diese Kontroversen auf diplomatischen Wegen zu Kompromissen ausgehandelt werden.
Man wird realistisch sehen müssen, dass Menschenfeindlichkeit und Völkerhass nie verschwinden werden, aber sie können eingedämmt und beherrschbar gemacht werden durch die Praktiken eines menschenfreundlichen und völkerversöhnenden Geistes. Diesen Geist unter den Menschen und Völkern in Herz und Gewissen Grund zu legen und zu aktivieren, ist der Dienst der Kirche an einer Welt, die nie zur großen Harmonie kommt. Aber sie kann eine bewohnbare Welt bleiben, wenn sich Menschen finden, die sich in ihrem Gewissen und in ihrem Handeln gebunden wissen an die Gebote Gottes und an den Geist der Botschaft Jesu Christi. Diese Christen übernehmen weltliche Mitverantwortung für eine Völkergemeinschaft mit mehr Frieden.
In der Kirche betet man um Frieden, für ihn aber kämpfen Christen real mit gewaltfreien Mitteln der Verständigung und mit der Bereitschaft zu Kompromissen in den Konflikten ihrer Zeit.

Gebete im Krieg - Spiegel der kirchlichen Gesinnung

Im 1. und 2. Weltkrieg ist in und außerhalb der Kirchen viel in politischem, d.h. kriegerischem Kontext, gepredigt und zum Gebet aufgerufen worden . Man hat Gott als „den Herrn der Heerscharen“ angerufen, um den Sieg zu erlangen über die Feinde, die den Krieg schuldhaft begonnen haben. Und man hat für „Kaiser und Reich“ und für „den Führer und das Vaterland“ gebetet und Gefallenen „himmlischen Lohn“ verheißen.
Nichts dürfte in der Kirchengeschichte und vor allem im Protestantismus problematischer gewesen sein als die Kriegstheologie mit ihren Predigten und Gebeten. Leidenschaftlich hat man für den Kaiser und für den „Führer“ Gott angefleht, ihnen den Endsieg zu geben. Das Töten der Feinde war heilige, gottgewollte Pflicht der Kaiser- und Führertreuen wie auch andererseits das eigene Sterben für „Kaiser und Reich“ und für den „Führer“ als göttlicher Wille ausgegeben wurde.
In zwei Weltkriegen haben Millionen von Soldaten und Bürger ihr Leben verloren und sind zivilisatorische und kulturelle Werte und Lebensstrukturen zerstört worden. Die tiefe Ambivalenz der Weltgeschichte wurde überdeutlich: die Menschheit war in der Lage, politische, kulturelle und ökonomische Fortschritte zu erringen und gleichzeitig war sie bereit, eine erschütternd große Zahl von Menschen in Kriegen zu opfern und die von ihr selbst erleistete Zivilisation und Kultur zu zerstören. Dem in vieler Hinsicht gelungenen „Bebauen und Bewahren“ wurde das „Zerstören und Vernichten“ entgegengesetzt. Das Töten und Vernichten konnte sich regelrecht steigern zur „Wonne“ der mit modernsten Waffen ausgerüsteten Heere. Für das gekonnte Töten von Feinden und für das Zerstören von Industrien und Wohngebieten gab es Lob und hohe Orden.
Die heutige Menschheit kann eigentlich wissen, was Kriege sind: auf hoher Militärtechnik organisierte Vernichtungsstrategien, die gerichtet sind auf militärische und zivile Ziele.
In sogenannten Friedenszeiten werden die Mittel produziert, die man dann in Kriegszeiten anwenden kann. Aufrüstungen dienen dem potentiellen Kriegsausbruch. Dieser könnte nur verhindert werden durch eine konsequente Friedenspolitik, die als Voraussetzung die gegenseitige Einsicht hat, dass durch Kriege nichts mehr gewonnen werden kann, aber alles zu verlieren ist. Diplomaten und Politiker, die einen Krieg immer noch für ein Mittel der Politik halten, verkennen die nach einem Kriegsbeginn beginnenden Eigengesetzlichkeiten eines modernen Vernichtungskrieges, der nur enden kann in der gegenseitigen Vernichtung, in unserer Welt, konkret durch atomare Waffen.
Und kirchliches Reden sollte endgültig Abschied nehmen von Gott als dem Regenten der Geschichte, für den auch Kriege Mittel seiner Weltregierung sind.

In den Kriegen wurden
- Soldaten durch Gewehr- und Maschinengewehrkugeln wie durch Granaten getötet
- Soldaten durch Volltreffer in Stücke zerrissen, ihre Leichenteile in Massengräbern verscharrt
- Soldaten zu Krüppeln, zu Blinden und Arbeitsunfähigen gemacht, dass viele nach schweren Operationen  starben
- Soldaten in Unterständen durch Granateneinschläge verschüttet, so dass sie einen qualvollen Tod erlitten
- Soldaten in feindliche Stacheldrahtverhaue getrieben, in denen sie verreckten und man sie verwesen lies
Die einen Soldaten starben den „Heldentod“, die anderen überlebten und wurden als Helden verehrt.
Bis heute sind auch in unseren modernen Medien so gut wie nie getötete Soldaten zu sehen. Man will oder man meint diese Grausamkeiten der Bevölkerung nicht zumuten zu können – oder die Kriegspropaganda verbietet es.
War und sind diese und noch viel mehr Grausamkeiten im Krieg Gottes Wille?

Man will nicht hören:
- Frauen und ihre Kinder wie ältere Männer starben bei Flächenbombardements in Kellern und Bunkern
- eingesammelte verstümmelte Leichen wurden in Massengräber geworfen oder verbrannt
- ganze Stadtteile wurden zerstört und die Überlebenden in Evakuierung geschickt
- Männer, Frauen und Kinder wurden aus ihrer Heimat vertrieben und erlebten auf ihrer Flucht Grausames.

Sind diese Schicksale Gottes Wille gewesen? - Das zu behaupten, ist unmöglich.
Wenn diese grausamen Kriegsschicksale nicht Gottes Wille sein konnten, so kann auch der Krieg selbst nicht Gottes Wille gewesen sein. Den Krieg zu einem von Gott inszenierten Mittel seiner Weltregierung zu machen, ist die größte Blasphemie.

Verantwortlich für Kriege sind allein Menschen in politischen Funktionen, die durch Ideologien und Propaganda ihre Volksgenossen zu gehorsamen Exekutoren ihrer menschenfeindlichen Politik machen.
Nun haben wir die Dramatik und Dynamik des Krieges in der Ukraine, der sich schnell entwickeln könnte zu einem Krieg zwischen der Russischen Föderation und der NATO. Hauptkampfgebiet würde zunächst Mitteleuropa sein.
Dass in dieser Situation wieder viel gebetet und Gott um die Gabe des Friedens angefleht wird, ist bei den Ängsten der Menschen vor der Zukunft verständlich. Die meisten Gebete sind Bitten um einen baldigen Waffenstillstand und um ein Ende des Krieges durch ein Friedensabkommen. Gott wird die Bitte vorgetragen, das tägliche Töten, Morden und Zerstören zu beenden. Diese Gebete sind verständlich, weil sie aus der Angst vor einer möglichen Ausbreitung des Ukraine-Konfliktes geboren sind.

Aber dieses dürfte beachtet werden: man bittet Gott um das Ende eines mörderischen Krieges, den Er nicht gewollt hat, sondern sich ausschließlich der politischen Entscheidungen von irdischen Machthabern verdankt. Es sind bei Namen zu nennende Politiker und ihre militärischen Spitzen, die die in Friedenszeiten vorbereitete Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt haben. Deren Motive zur Kriegsführung sind die Ausbreitung ihrer nationalen Macht und die Gewinnung der politischen Kontrolle über einen Nachbarstaat, der mit seiner inneren Entwicklung und seiner beabsichtigten außenpolitischen Eingliederung in das westliche Ordnungs- und Verteidigungssystem als Gefährdung der eigenen Sicherheit angesehen wird. Bei ihren politischen und militärischen Entscheidungen wissen sie sich nur gebunden an ihre eigenen Denk- und Handlungskriterien. Natürlich können auch die in ihrem Machtbereich existierenden Kirchen und einzelne kirchliche Würdenträger von diesem Krieg als Willen Gottes reden und sich voll identifizieren mit der Politik ihres Präsidenten. Auf der anderen Seite sind es die Kirchen des überfallenen Staates, die ihren Willen zum Widerstand als von Gott geforderten Willen ausgeben. Aber was ist das für ein Gott, der auf beiden Seiten angerufen wird, der ihre eigenen Wünsche und Ziele absegnen soll? Er wird als politischer Erfüllungsgehilfe verwendet und er soll genau das tun, was die Beter wollen.

Ihre Gebete sind aber nichts anderes als die religiöse Einkleidung ihrer politischen Interessen.

Dieser angerufene „Gott“ hat nichts zu tun mit dem Gott, der uns im Leben und in der Verkündigung des Jesus von Nazareth begegnet. Dieser mahnt die zum Unfrieden und zur Menschenverachtung neigenden Menschen zur Nächstenliebe und sogar zur Feindesliebe. Aber das Dilemma war und ist bis heute geblieben, dass die Geschöpfe des Schöpfers sich nicht an die Gebote Gottes und die Friedensbotschaft Jesu halten, sondern sich orientieren an den von ihnen selbst geschaffenen und formulierten Kriterien der interessengeleiteten Selbstbestimmung, die es fordert und zulässt, seine zum Feind erklärten Völker und Menschen zu unterdrücken, auszubeuten und zu töten. In Kriegen, die auf die Unterdrückung und Vernichtung des Feindes aus sind, können sich die widermenschlichen Mächte, die latent auch in Friedenszeiten immer anwesend waren, aktualisieren und sich in Menschen vernichtenden Praktiken austoben. Im konkreten Kriegsgeschehen feiert der Geist der Widermenschlichkeit seine Triumphe. Die Gegengeister und Gegenspieler des menschenfreundlichen Gottes und die Gegengeister der Friedensbotschaft Jesu haben im Krieg die Möglichkeit der brutalen Vernichtung von Menschen in Uniform und in Zivil wie der Zerschlagung der in Jahrhunderten aufgebauten Zivilisation und Kultur.


Nicht zuerst der Ruf nach Frieden

Was in der Kirche zuerst geschehen muss, ist nicht der Ruf nach neuem Frieden, sondern der Ruf zur Buße, d. h. zu erkennen und zu bekennen, dass es zeitgenössische Politiker und Militärs sind, die das Elend im Krieg zu verantworten haben. Sie selbst nehmen an den Kämpfen mit ihren Verlusten an Menschen und an der Zerstörung von Lebensräumen nicht teil. Sie bestimmen und befehlen, was und wie es zu zerstören ist. Sie aber haben die Letztverantwortung für das Kriegsgeschehen. Mit göttlichem Geschichtswillen hat das nichts zu tun.
Eine Kirche, die sich den Inhalten der Verkündigung Jesu verpflichtet weiß, muss zunächst ein großes hörbares Klagelied über die Opfer des Krieges anstimmen und die Verantwortlichen für die Massaker anklagen. Klage und Anklage gehören zusammen. Sie müssen in den Gottesdiensten und in den öffentlichen Worten der Kirche zur Sprache gebracht werden. Die, die den Krieg vorbereitet und begonnen haben und die, die ihn verlängern und totalisieren, müssen angeklagt und zur Abkehr von ihrem Tun und Denken aufgerufen werden. Es sind eben die politischen und militärischen Eliten, die für den Ausbruch und die Führung des Krieges die Letztverantwortung haben. Und es muss hingewiesen werden auf die Tatsache, dass es mächtige Minderheiten sind, die die Entscheidungen für einen Krieg treffen. Völker, auch demokratisch verfasste, haben bisher noch nie über Krieg und Frieden mit abgestimmt.
Kirche muss von ihren ethischen Kriterien her ohne Rücksicht auf die Regierenden und auf die öffentliche Meinung auf diese Zusammenhänge hinweisen. Sie kann sich nicht verpflichten lassen auf die Argumente derer, für die Kriege noch ein politisches Mittel sind, nationale Sicherheit und machtpolitische Ziele zu erreichen. Sie kann kein Ja mehr sprechen zu kriegerischen Gewaltanwendungen mit ihren Massenmorden und ihrem Massenelend. Sie hat – wenn auch manchmal verzweifelt – ein klares Nein zu durch nichts mehr zu verantwortbaren Kriegen zu sprechen.
Ein ebenso klares Nein muss gegen die Vorbereitung von Kriegen mit verbesserten Waffen durch Aufrüstung oder durch Ausbau eines zivilen Schutzsystems gesprochen werden. Maßnahmen zur Verstärkung der militärischen Abwehrkraft mögen durchaus zwischenzeitlich friedenssichernd sein, aber man legt sich verbesserte Waffensysteme zu, die im Ernstfall des Ausbruchs eines Krieges für die vom Kriegsgeschehen Betroffenen die „Hölle auf Erden“ bedeuten können.
Die Kirche muss ein klares Nein zu den Kriegsvorbereitungen wie zu jeder praktischen Kriegsführung Nein sagen. Sie kann sich nicht der Logik des Politischen unterwerfen, die gegen die Friedensverkündigung Jesu ist und gegen die ethischen Kriterien einer verantwortlichen Weltgestaltung stehen.
Nun ist nüchtern festzustellen, dass diese unsere real existierende Welt mit ihrer Jahrtausend alten Tradition von Kriegen und ihrer moralischen Sanktionierung, verbunden mit den Neigungen von Staaten, die eigene nationale Bedeutung zu vergrößern, nie ein „Friedensreich“ werden wird. Man wird sich damit abfinden müssen, dass man mit der Bindung an die Friedenskräfte des Evangeliums nur Zeichen des Widerstands gegen die weltübliche Inhumanität und gegen die Abtötung der kritischen Vernunft durch die Herren dieser Welt setzen kann. Die Kirche wird letztlich immer ohnmächtig mit ihren Protesten sein. „Die Welt bleibt des Teufels Wirtshaus“ (Luther).   Aber dieser widerständige Kampf der Kirche und ihrer Christen muss mit den individual- und sozialethischen Kriterien und Argumenten aus der Botschaft Jesu in heutiger politisch-säkularer Sprache geführt werden und muss auf praktische Veränderung jeder menschenfeindlichen Politik gerichtet sein, so schwer das auch sein wird. Sie kann kriegführenden Staaten kein gutes Gewissen machen, sondern muss auf ihr schuldhaftes politisches Versagen in der Erhaltung und im Aufbau des Friedens hinweisen.
In einer Zeit, in der die Bindungen an christliche oder aufgeklärt - humanistische Ethik abzunehmen scheinen, ist es Aufgabe der Kirche, ihre Botschaft  und ethischen Inhalte verstärkt öffentlich vernehmbar zu machen. Dass sie bei ihrem eindeutigen Nein zum Krieg auf die Kritik der Machthaber stoßen wird, hat sie auszuhalten.
Natürlich wird die Kirche bereit sein, mit ihren Gemeinden und Hilfsorganisationen, die jetzige Kriegsnot durch praktische Hilfeleistungen zu lindern. Aber ihr muss in ihrer diakonischen Arbeit bewusst bleiben, dass es Ursachen für diese Not gibt, die in einer unverantwortlichen politischen Mittelwahl in machtpolitischen Konflikten liegen. Auf keinen Fall kann sie sich selbst degradieren zu einer diakonischen Hilfstruppe unverantwortlicher Politik.
Sie hat neben ihrer diakonischen Aufgabe gleichzeitig die politische Aufgabe, durch ihre Verkündigung mitzuhelfen, dass die Welt nicht durch unverantwortliche Politik im Chaos verschwindet.

Die Gegenstrategie der Kirche und ihrer weltlichen Christen

Die Frage ist: Wie können wir als Kirche und ihre Christen in weltlicher Verantwortung Kriterien der personalen und sozialen Ethik in die gegenwärtigen Konfliktfelder einbringen?
Zunächst ist nüchtern zu sehen, dass wir keinen unmittelbaren Zugang zu denen haben, die das gegebene System aufgebaut haben und es heute weiterentwickeln: die Präsidenten der souveränen Staaten, die allein über den möglichen Einsatz von Atomwaffen bestimmen, die Wissenschaftler und Techniker, die auftragsgemäß und in der Regel mit sachlicher Hingabe die atomaren Waffen entwickeln, die Militärs, die für den Einsatz der Waffen ihre Mitverantwortung haben, und die, die aus ökonomischen Gewinnerwartungen heraus ein vitales Interesse an der Weiterentwicklung der Waffensysteme haben.
Diese Führungsgruppen sind durch kirchliche Verlautbarungen in der Regel nicht erreichbar.
Sie folgen den Prinzipien der Eigengesetzlichkeit ihrer Ressorts und lassen sich in ihrer Logik nicht stören. Sie halten die Existenz eines atomaren Waffensystems für politisch und damit moralisch geboten. Die wachsenden Militärausgaben sind für sie von zwingender Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung des eigenen politisch-militärischen Sicherheitssystems. Militärische Stärke ist für sie die vorrangige Aufgabe.
Nun reicht das Zitieren von ethischen Hochwerten und moralischen Imperativen nicht aus, um Veränderungen im Denk- und Handlungssystem der Handelnden zu erreichen. Sie von außen mit noch so guten und richtigen Kriterien zu einem anderen Verhalten und anderer Zukunftspolitik aufzurufen, dürfte vergeblich sein. Sie sind so von den eigenen machtpolitischen Kriterien überzeugt, dass eine Einrede aus anderem Geist an ihnen abprallt. Sie sind so von der Richtigkeit und Verantwortlichkeit ihrer politischen Doktrin und Praxis überzeugt, dass sie kaum offen sind für eine grundsätzliche und auch partielle politische Korrektur.
Es bleibt zunächst kein anderer Weg, als sich einzulassen auf ihre Denk- und Handlungsstrukturen und die Punkte zu finden, wo andere Kriterien aus anderem Geist Anknüpfungspunkte finden können, um Korrekturen im System zu erreichen. Was auf jeden Fall kontraproduktiv ist: die Vertreter des herrschenden Systems mit einer Flut von hoch ethischen Sätzen und radikalen Alternativen zu konfrontieren. Das ist für sie „weltfremd“.
Der Dialog auf Korrekturen hin setzt auf kirchlicher Seite Menschen voraus, die das herrschende System genau kennen und dadurch erst dialogfähig werden. Eine rhetorische Alternative lauthals zu fordern, verhindert den notwendigen Dialog.
Die kritische Auseinandersetzung mit den Trägern des gegenwärtigen politisch-militärischen Systems können Theologen nur selten leisten. Es müssen Christen aus weltlichen Berufen diese Aufgabe übernehmen. Wissenschaftler und Techniker, Politiker und Militärs, die in weltlicher Mitverantwortung stehen, müssen von ihrem christlichen Glauben und der ihm entsprechenden Ethik das konstruktiv-kritische Gespräch in die verschiedenen Ebenen des politisch-militärischen Komplexes einbringen. Sie allein haben die Chance, den Fortbestand der gegenwärtigen Waffensysteme infrage zu stellen und Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer Reform vorzuschlagen. Kirchliche Denkschriften sind häufig Folklore. Sie mögen richtige Analysen bringen, bleiben aber im Vorfeld von real möglichen Veränderungen stecken.
Die Kirche muss Expertengruppen aufstellen, an deren möglichen Ergebnissen, die in politisch-militärischer Verantwortung Stehenden nicht vorbeikommen. Nur Christen in praktischer weltlicher Verantwortung können aus der gegenwärtigen Welt in einem längeren Leistungsprozess eine vernünftigere und friedfertigere politische Welt miterleisten.


Fritz Bauer:
„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas dazu beitragen, dass sie nicht zur Hölle wird.“


Literaturhinweis:
Mit welchen theologischen Argumenten die Kirche und ihre Christen in den Kampf um die Zähmung der Gewalt eintreten können, dazu siehe:  Günter Brakelmann, Gewalt und ihre Zähmung. Eine Aufgabe ohne Ende, Luther-Verlag, Bielefeld 2016
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Prof. Dr. Günter Brakelmann
Günter Brakelmann, geb. am 3. September 1931 in Bochum, studierte Evangelische Theologie, Sozialwissenschaften und Geschichtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Nach seiner Promotion 1959 wurde Brakelmann zunächst Berufsschul- und Studentenpfarrer in Siegen. Von 1962 bis 1968 war er Dozent an der Evangelischen Sozialakademie in Friedewald. 1967 wurde er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Christliche Gesellschaftslehre der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, bevor er 1970 zum Direktor der Evangelischen Akademie Berlin berufen wurde. 1972 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum an, den er bis zu seiner Emeritierung 1996 inne hatte. Von 1980 bis 1996 war er Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts (SWI) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das bis 2004 in Bochum angesiedelt war.
1985 war er maßgeblich beteiligt an der Gründung des Vereins zur Erforschung der Kirchen- und Religionsgeschichte des Ruhrgebiets.
Darüber hinaus war er tätig in verschiedenen Gremien der westfälischen Landeskirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland u.a. in der Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung als langjähriger Vorsitzender der überparteilichen Arbeitskreises „Sicherung des Friedens“. Er war Mitglied im Aussichtsrat von Thyssen-Krupp, Salzgitter Stahl und Peiner Träger GmbH sowie im Aufsichtsrat des Westdeutschen Rundfunks und des Programmbeirats für das Erste Deutsche Fernsehen. Er war berufenes Mitglied der „Unabhängigen Kommission für die künftigen Aufgaben der Bundeswehr“ im Verteidigungsministerium.
Bis heute liege n seine Forschungsschwerpunkte auf dem  Verhältnis von Kirche und sozialer Frage seit Beginn des 19. Jahrhunderts, bei Martin Luther als reformatorischem Theologen und dessen Wirkungsgeschichte in der deutschen National- und Kirchengeschichte, auf der Geschichte des Antisemitismus, der Geschichte des Widerstandes  gegen den Nationalsozialismus  und des Verhaltens des deutschen Protestantismus, insbesondere der Synode Bochum in der Zeit der beiden Weltkriege.
Zu seinen Auszeichnungen gehören u.a. im Jahr 2000 der Hans-Ehrenberg-Preis, 2003 das große Bundesverdienstkreuz 2010 der  Heinrich-Brauns-Preis des Bistums Essen und 2020 das Bronzekreuz der Evangelischen Kirche von Westfalen.
Seit 1057 ist er Mitglied der SPD.


Arno Lohmann, 
geb. 1954 in Siegen-Eisern, ist Evangelischer Theologe, Pfarrer i.R.. Bis März 2020 leitete er die Evangelische Stadtakademie Bochum.


Veröffentlichungen von Günter Brakelmann zum Thema „Krieg und Frieden“

 - Müntzer und Luther, Bielefeld 2016

- Kirche und Krieg: Der Krieg 1870/71 und die Reichsgründung im Urteil des Protestantismus,
   in: Kirche in Konflikten ihrer Zeit, München 1981

- Der Kriegsprotestantismus 1870/71 und 1914-1918. Einige Anmerkungen,
   in: Manfred Gailus/Hartmut Lehmann (Hg.): Nationalprotestantische Mentalitäten. Konturen, Entwicklungslinien und
   Umbrüche eines Weltbildes, Göttingen 2005

- Der deutsche Protestantismus im Epochenjahr 1917, Witten 1974

- Protestantische Kriegstheologie im Ersten Weltkrieg. Reinhold Seeberg als Theologe des deutschen
   Imperialismus, Bielefeld 1974

- Krieg und Gewissen. Otto Baumgarten als Politiker und Theologe im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1991

- Der deutsche Protestantismus im Epochenjahr 1917, Witten 1974

- Lutherfeiern im Epochenjahr 1917

- Deutscher Protestantismus in den Kriegen 1870/71 und 1914 – 1918. Sechs Einblicke, Kamen 2014,
   enthält:
   Der Krieg 1870/71 und die Reichsgründung im Urteil des deutschen Protestantismus
   Kirche im letzten Friedensjahr 1913
   Kriegspredigten und Kriegsschriften 1914/1915
   Kriegstheologie und Kriegsziele bei Reinhold Seeberg
   Protestantismus im Epochenjahr 1917 und im Revolutionsjahr 1918
   Kirche in und nach der Revolution 1918/19

- Protestantische Kriegstheologie 1914-1918. Ein Handbuch mit Daten, Fakten und Literatur zum Ersten Weltkrieg,
   Kamen 2015

- Protestantische Kriegsagenden und Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation und Interpretation, Kamen
   2015 

- Verhängnis – Versagen – Irrtum – Schuld. Anmerkungen zum Umgang mit kirchlicher Zeitgeschichte, in: KZUG 4/1991

- Konfessioneller Nationalismus, in: Brakelnann, Für eine menschlichere Gesellschaft, Bochum 1996

- Der deutsch-russische Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 und der Überfall Deutschlands auf Polen am  1.
   September 1939, in Brakelmann: Für eine menschlichere Gesellschaft, Bochum 2001

-  Vorbereitung und Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941, ebd. Bochum 2001

- Hg.: Kirche im Krieg. Der deutsche Protestantismus am Beginn des Zweiten Weltkriegs, München 1979

- Kirchliches Reden beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs,
   in: WPKG 68/1979

- Bochumer Kirche im Luftkrieg 1939-1945, Münster 2020

- Streit um den Frieden1979-1999. Beiträge zur politischen und innerprotestantischen Diskussion im Rahmen des
   überparteilichen Arbeitskreises „Sicherung des Friedens“, Berlin 2013 (35 Beiträge)

- Ein nie erledigtes Thema: der „Frieden“. Beiträge zur Friedensfrage, 1982-2019, Bochum 2019

- „Ewiger Gott. Du Lenker der Schlachten!“. Eine kleine Reise durch Kriegspredigten und Kriegsschriften 1914/15.
   In: Ulrich Hentschel-Peter Bürger (Hg.): Protestantismus und Erster Weltkrieg. Aufsätze, Quellen und Propagandabilder,
   Norderstedt 2020

- Der Krieg Rußlands gegen die Ukraine. Drei Thesenreihen,
   in: Wustmanns/Eieith/Friedrich/Schell/Witte-Karp ( Hg.): Kontext und Dialog, Festschrift für Traugott Jähnichen zum
   65. Geburtstag, Stuttgart 2024

- Reflexionen und Positionen zur politischen Wirklichkeit und zum Russland-Ukraine Konflikt, MS 2024